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Jeder Rappen zählt: aber bitte erst einen Flammkuchen!

Die sagenhafte JRZ-Woche ist zu Ende gegangen. Endlich?

Da wurde während vielen Stunden nur noch TV oder Live-Stream gegafft, brave Schweizer Schulkinder bekamen kein Vollkorn-Bio-Znünibrot mehr, weil Muttern lieber SMS ans Fernsehen schreibt, in Büros standen die Drucker still und selber starker Schneefall konnte nichts an der Tatsache ausrichten: Jeder Rappen zählt.

Eine riesige Welle der Solidarität schwappte über Helvetien. Gugge-Gruppen sammelten für den guten Zweck, Kinder schaufelten Schnee für Geld oder buken Guetzli, Servierpersonal spendete sein hart erarbeitetes Trinkgeld und Postangestellte verschenkten ihren dreizehnten Monatslohn. Twitterer krochen hinter ihren Mac-Books hervor und zückten auf dem Bundesplatz ihre iPhones, um zu beweisen, dass sie einfach mal so eine Internetbewegung in Gang setzen können. Auch Nerds besitzen Sozialkompetenz!

In der Glasbox wechselten sich die Helden des Radios am Mikrofon ab: Tom Gisler, der sanfte, aber scharfzüngige Ritter ohne Rüstung dafür mit Drei-Tage-Bart und einem Blick wie Orlando Bloom, Anic Lautenschlager, die hoffnungsvolle Virus-Moderatorin, die sogar singen kann und die schönste natürliche Frisur besitzt. Und natürlich Mamas Traumschwiegersohn Nik „Vollbart“ Hartmann, der Typ, mit dem alle wandern gehen wollen. Kein Kaffeekränzchen, selbst im Altersheim, das sich nicht über die drei Lebensmüden in Bern auf dem Bundesplatz austauschte, die eine ganze Woche nur flüssige Nahrung aufnahmen.

Was ist das Geheimnis dieses Sendekonzepts?
Am besten lässt es sich ergründen mit der Analyse von „Happy Day“. Ähnlicher Ansatz: Tränendrüsenaktivierung, Musik und sympatische Moderatoren. Und doch. Irgendwas ist anders. Während sich „JRZ“ beziehungsweise die drei Akteure vor der Kamera nicht allzu ernst nahmen und eine gesunde Portion Ironie ausströmten, kommt „Happy Day“ verlogen und effekthascherisch daher. Ein Beispiel gefällig? Fürs Weihnachtsmedley sitzen die Protagonisten von „Üsi Badi“ wie auf dem Präsentierteller auf der Bühne, werden beschallt von Sängern. Es wirkt präpariert, deshalb sehr unnatürlich und hinterlässt einen schalen Nachgeschmack. Vielleicht sollte Röbi Koller sich darauf besinnen, was ihn in den 90er Jahren (Live von der Langstrasse) so beliebt gemacht hat: guter Journalismus, Ehrlichkeit und weniger Bling Bling.

Im Vergleich dazu wirkten die Schnitte von Freitag- auf Samstagnacht, wir erinnern uns an die Männer, die ziemlich angeheitert ein Fondueessen auf dem Bundesplatz veranstalteten und anschliessend Moderator Tom Gisler lautstark aufforderten, sich auszuziehen, echt. Die Männer wurden aber trotzdem nicht bloss gestellt.

Was bleibt, neben der sagensaften Spendensumme von fast 9 Millionen zugunsten von Kindern im Krieg, ist der Wunsch des Publikums nach mehr Natürlichkeit. Diese muss ja nicht gezwungenermassen auf dem Bundesplatz stattfinden. Wie wär’s mit mehr Präsenz von Gisler und Lautenschlager am Fernsehen? Telegenität bringen sie ja mit. Allerdings bleibt auch dieser Wunsch zweischneidig, denn niemand hat Lust zuzusehen, wie diese beiden Sympathieträger in irgendeiner miesen Game-Show ihr Talent vergeuden.

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