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Jenseits von Gut und Böse

Ich oute mich jetzt mal als totales Schwinger-Greenhorn. Als modernes weibliches Wesen habe ich mich bisher nie für eine Sportart? begeistern können, bei der die Hauptaktivität darin zu bestehen scheint, dass sich zwei erwachsene, adipöse Männer an den Hosen halten und versuchen, einander gegenseitig auf den Rücken zu drücken.

Dieses grässliche Vorurteil wurde dank unseres geliebten und unverzichtbaren Staatsfernsehens zurecht gerückt. Im Hinblick auf das Schweizerische Schwing- und Älplerfest in Frauenfeld finden jetzt starke Marketingmassnahmen zugunsten dieser unverstandenen Sportart statt. Als Schweizer sind wir uns natürlich gewohnt, dass ab Januar des jeweiligen Jahres auf allen Kaffeerahmdeckeli, Rivellaflaschen und Spezialwürsten beim Metzger fürs Schwingfest Werbung gepappt ist. Doch dieses Jahr ist alles anders. „SF bi de Lüt – die Bösen“ heisst die Dokumentar-Filmreihe, die Nulpen wie mir den Respekt vor den Mannen einbläuen soll.

Es fängt schon gut an. Ich lerne gleich zu Anfang, dass sich die Mehrheit der Sportler aus guten, alten helvetischen Berufen rekrutiert, die da sind: Käser, Bauer und Schreiner. Da findet man keinen Spränzel, der studiert oder einen Bürojob macht. Schwinger, und das bemerke ich als zweites, sind keine übergewichtigen Männer, denen am Wochenende auf ihrer Urner Alp einfach langweilig ist. Nein, das sind Spitzensportler, die neben ihrem Beruf, ohne Sponsorengelder notabene, trainieren. Der Hauptteil des Trainings besteht zwar aus Kraftübungen, doch fürs Schwingen ist ebenso mentale Stärke gefragt. Dass der Trainer, Rocky-like, ein kleiner, schmächtiger Mann ist, verwundert mich hingegen gar nicht.

Wie es in Schweizer Dokumentarfilmen Tradition ist, werde ich als Zuschauer möglichst nahe an die Protagonisten herangeführt. Ich fiebere und leide mit, wenn der Stucki Christian (wichtig: Nachnamen vor Vornamen und bitte nur echte Schweizer Namen. Weder Kevin noch Eike sind hier erwünscht!) ein Trainingstief hat und am liebsten kotzen möchte. Ich schaudere vor Schrecken als der Forrer Nöldi mit seinem Mountain Bike vor der Kamera auf die Nase fällt und sich sein Gnagi verstaucht.

Wir sind Zeugen, wenn der stiernackige junge Schwinger mit seinem Trainer einen Hügel im Emmental erklimmt, immer die riesigen Pranken in den Hosentaschen haltend, um dann oben angekommen mit Tennisbällen zu jonglieren Nebenbei erhalten wir eine Schnellbleiche in Sachen landesübergreifende Dialektausdrücke: Die Stärksten der Starken heissen Böse. Da bin ich aber beruhigt, denn so gefährlich sahen diese Herren gar nicht aus. Im Gegenteil. Dank „SF bi de Lüt“ gelingt es sogar, eine tiefe Sympathie für Menschen zu entwickeln, die sich wagen, dem Druck der heutigen Zeit (schneller, moderner, dünner) zu widerstehen und einer Tradition zu folgen, die trotz allem attraktiv erscheint. Oder wie ist es zu erklären, dass die Schwingerfest-Panini-Bildli ein solcher Erfolg waren?

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