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Das Halstuch

Liebe Leser, man vergisst heutzutage leicht, dass es Zeiten gab, in denen es ein gesellschaftliches Ereignis darstellte, gemeinsam einen Krimi anzusehen. Als Francis Durbridges „Das Halstuch“ lief, waren Deutschlands Strassen wie leer gefegt. Dies geschah zu einer Zeit, als es weder RTL, noch SAT1 noch schlüpfrige Unterbrecherwerbung gab. Überhaupt war damals alles besser, besonders die Krimis. Nehmen wir doch besagten sogenannten „Durbridge-Sechsteiler“. Er handelt vom Mord an einer jungen Frau. Dieses Format war nicht nur auf Unterhaltung angelegt, sondern dank sehr fähigen, der deutschen Sprache mächtigen Schauspielern wie Heinz Drache, Margot Trooger und Dieter Borsche auch so eine Art „English für Angefangenen und Fortschreitenden“. Wörter wie „Littleshaw“, Namen wie „Clifton“ oder „Morris“ sorgen auch heute noch bei Mittfünfzigern für feuchte Äuglein und sepiafarbene Erinnerungsfetzen.

Aber wovon handelt das Halstuch?
Dies ist eine Frage, die nicht leicht zu beantworten ist. Ich meine, der Fall füllt sechs Episoden, die an Spannung und Einfallsreichtum nicht zu überbieten sind. Also, Faye Collins wird von Alistair Goodman mit einem Halstuch ermordet aufgefunden, das später in Gerald Quinceys Geigenkasten wiederauftaucht. Goodmans Verlobte Marian Hastings, die übrigens Mode verkauft, identifiziert den Verleger Clifton Morris als Begleiter. Dann wird der Maler Hopedean verdächtigt, etwas damit zu tun zu haben, eine Journalistin wird ermordet und ein leichtes Mädchen muss untertauchen. Wer der Mörder ist? Das kann ich Ihnen nicht verraten. Das hat bereits ein anderer für mich getan: Wolfgang Neuss.

Denn das ist eigentlich der einzige Grund, warum man sich für dieses Machwerk gemächlicher deutscher Fernsehunterhaltung interessieren muss. 89% betrug die Einschaltquote. Nach Meinung des Programmbeirats des Fernsehens schien „das deutsche Kulturleben zum Erliegen gekommen“. Neuss beschloss etwas zu unternehmen, um mehr Zuschauer für seinen Film „Genosse Münchhausen“ ins Kino zu locken. Er schaltete kurzerhand eine Zeitungsannonce mit den folgenden Worten:

„Ratschlag für morgen: Nicht zu Hause bleiben, denn was soll’s: Der Halstuch-Mörder ist XY. Also: Mittwochabend ins Kino.“

Dies brachte ihm zwar nicht den erwünschten Erfolg, dafür den Hass der Zuschauer, einige Morddrohungen und eine Schlagzeile in der BILD als „Vaterlandsverräter“.

Tja, liebe Kinder. So war das damals mit dem Fernsehen. Während es heute niemanden mehr kratzt, wenn einer ein unverhülltes Geschlechtsteil in die Kamera hält, reichte es damals, den Konsumenten einen verbalen Tritt in den Hintern zu geben.

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